Oma Reinicke

wie so häufig, nach getaner Arbeit lesen Oma und ich eine Zeitschrift

Ich bin nicht sicher, ob ich mit Worten beschreiben kann, wie wichtig meine Oma Reinicke für mich war.

Sie war in meinen Augen genau die Oma, die man als Kind haben sollte. Wenn ich mit ihr zusammen war, schien die Welt in Ordnung.
Als kleineres Kind, so bis zum Alter von ca 8 Jahren, war ich sehr häufig bei ihr. Manchmal sogar für einige Tage, es können auch Wochen gewesen sein.

Woran ich mich noch gut erinnere war, dass ich oft erst einmal geweint habe, wenn meine Mutter mich dort hin brachte. Aber zu deren Ärger habe ich auch drei Tage geheult, wenn ich dann wieder nach Hause musste.

Geweint habe ich, weil mir mein kleiner Bruder fehlte, meine Spielsachen, mein Bett und mein Teddy. Ich kann heute gar nicht verstehen, warum ich den nie mitnehmen konnte.

Als Ersatz für den Teddy gab es bei Oma ein selbstgestricktes Schaf. Damit bin ich am Abend eingeschlafen – und mit dem Ticken ihrer Kuckucksuhr, die immer falsch lief.

Oma Reinicke, das ist der Duft von Phlox und Pfingstrosen, blühenden Obstbäumen und reifen Erdbeeren.
Noch heute kommen die Erinnerungen an meine Oma hoch, wenn der Phlox in meinem eigenen Garten blüht. Dann habe ich genau die Stellen in ihrem riesigen Garten vor Augen, an denen sich diese Stauden befanden.

Ebenso ergeht es mir mit den Pfingstrosen. Der Duft von Pfingstrosen erinnert mich an das Betreten ihrer Wohnküche nach einem Spaziergang zum Bergfriedhof. Dann umhüllte uns der Duft der Pfingstrosen, die sie mit fedrigem Grün auf dem Tisch stehen hatte.

Überhaupt gibt es sehr viele Gerüche, die bis heute eine Verbindung an Kindheit und Oma in mir herstellen.

4711 zum Beispiel. Aus ihrem Schlafzimmerschrank entströmte immer dieser leichte Duft. Auch wenn ich diese Marke heute nicht benutze, komme ich gelegentlich nicht umhin, wenigstens mal ein Stück 4711 Seife zu kaufen um auf diese Art meinen Erinnerungen Nahrung zu geben.

Es ist auch noch ein anderer Geruch lebendig, auf den ich leider heute nicht mehr stoße. Das ist der Geruch, beim Betreten ihres Hauses. Es hatte eine Hanglage und wenn man es betrat, roch es aus dem Keller nach Äpfeln und Kohlen – und manchmal ein wenig nach Wein, den sie aus den Mengen an Obst aus ihrem Garten selbst herstellte.

Nach Wein, oder besser nach Most, roch es im Herbst auch in ihrer Küche. Hinter dem großen Ohrensessel glucksten dann zwei große, bauchige Korbflaschen vor sich hin. Sie hatten einen merkwürdigen Glasaufsatz durch den vermutlich die Gase entweichen konnten, die sich durch den Gärvorgang bildeten.

Merkwürdig, dass die Erinnerungen an meine Oma so sehr mit diesen zahlreichen Gerüchen verbunden sind, aber sie alle bedeuten für mich etwas Gutes, Vertrautes, Heimeliges.

Meine Kindheitserinnerungen im Zusammenhang mit Oma Reinicke sind durchweg alle positiv, selbst die Beinahe-Tracht Prügel mit der Klopppeitsche, die sie hinter dem Handtuchhalter hängen hatte. Das hört sich aber schlimmer an, als es war, denn die einzige Tracht, die ich mal kriegen sollte, war etwas, das ich später in meiner Erinnerung immer lustig fand. Obwohl es damals vielleicht sogar Ernst war.

Ich war wohl frech gewesen und meine Oma wollte mich bestrafen. Sie holte die Klopppeitsche hinterm Handtuchhalter hervor und ich war, schwupps, um den Küchentisch gelaufen, damit sie mich nicht erwischt. Oma hinter mir her… immer rund um den Tisch herum und ich bin bis heute nicht sicher, ob sie wirklich böse war.

Damals habe ich aber Schiss gehabt, das ist sicher, denn als die Gelegenheit günstig war entwischte ich durch die Küchentür, durch den Flur und raus, ab in den Garten. Die Oma rannte hinter mir her und immer noch hatte sie das Ding in der Hand und fuchtelte damit.
Ich weiß nicht wie lange wir gelaufen sind, glücklicherweise hat sie irgendwann gesagt, jetzt sei es genug, ich soll zurück kommen, sie wird mir nichts tun.
So haben wir uns dann wieder vertragen.

Das Gute an der Oma war, egal was ich machte, sie hat mich nie bei meinen Eltern verpetzt, damit ich nicht später zu Hause eine nachträgliche Strafe bekomme.

Zur Oma hatte ich unbegrenztes Vertrauen. Mit jedem Kummer und mit Allem was ich erlebte konnte ich zu ihr kommen. Sie hatte immer ein offenes Ohr, Verständnis und Rat. Egal ob es schlechte Schulnoten, Ärger mit den Eltern oder die erste Liebe war.

Eine Kindheit ohne Oma Reinicke kann ich mir nicht vorstellen. Sie ist für mich genau die Oma, wie ich sie gerne für meine eigenen Kinder gehabt hätte.

🙂

Published in: on 17. November 2009 at 16:50  Kommentar verfassen  
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